Iran hält einen traurigen Rekord: In keinem anderen Land der Welt werden so viele Menschen hingerichtet. Allein am 6. August dieses Jahres waren es innerhalb von 24 Stunden mindestens 36 Frauen und Männer.
Einer von ihnen war der 34 Jahre alte Reza Rasaei. Sein „Verbrechen“: Er hatte an den Protesten unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ teilgenommen. In einem äußerst unfairen Prozess wurde er zum Tode verurteilt. Seine „Geständnisse“ wurden durch Folter erzwungen – durch Elektroschocks, Beinahe-Ertrinken und sexuelle Gewalt.
Weder seine Familie noch sein Anwalt wussten von der bevorstehenden Hinrichtung. Aber nur wenige Stunden, nachdem die Behörden seine Familie über den Tod informiert hatten, zwangen sie Rezas Angehörige, seinen Leichnam in einem abgelegenen Gebiet zu begraben. Sicherheitskräfte waren immer dabei.
Unermessliches Leid. Leid, das jeden Tag Menschen im Iran erleiden müssen, die sich gegen die Unterdrückung durch das Regime wehren.
Die Proteste auf den Straßen hatten sich nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im ganzen Land ausgebreitet. Die junge Frau war am 16. September 2022 im Polizeigewahrsam gestorben. Sie war festgenommen worden, weil sie nicht die für Frauen vorgeschriebene Kopfbedeckung trug. Monatelang demonstrierten Hunderttausende unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“. Das Regime des „Gottesstaates“ reagierte mit brutaler Gewalt und sicherte so – vorerst – seine Herrschaft.
Unsere Gruppe arbeitet seit Jahren zu Menschenrechtsverletzungen in Iran. Im Mai vergangenen Jahres berichteten drei Iranerinnen bei einer Veranstaltung im Petrushaus über die Menschenrechtslage in ihrer Heimat. Besonders der Kurzfilm „Sieben Minuten und einunddreißig Sekunden“ von Solmaz Gholami beeindruckte an diesem Abend die Besucherinnen und Besucher als aufrüttelndes Plädoyer gegen die Todesstrafe.
Menschen in Iran wachen jeden Tag auf und müssen befürchten, das es ihr letzter sein wird. Eine verzweifelte Situation. Und doch gibt es immer wieder auch kleine Zeichen der Hoffnung und Ermutigung, im Kampf für die Menschenrechte nicht nachzulassen.
Der iranische Rapper Toomaj Salehi ist so ein Beispiel. Er war bei den landesweiten Protesten festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Weltweiter Druck hat dafür gesorgt, dass das Todesurteil aufgehoben wurde. Auch Amnesty hatte sich mit einer Eilaktron für Toomaj eingesetzt. „Das zeigt: Gemeinsam können wir viel bewirken. Wir können sogar Leben retten!“, schreibt AI-Generalsekretärin Dr. Julia Duchrow an die Mitglieder der Organisation.
Toomaj darf leben. Doch am 10. Juli haben ihn Geheimdienstmitarbeiter erneut verhört. Er wurde nach fadenscheinigen Vorwürfen angeklagt. Ihm drohen nun mehrere Jahre Gefängnis. Amnesty setzt sich für seine bedingungslose Freilassung ein.https://www.amnesty.de/pressemitteilung/iran-jamshid-sharmahd-hingerichtet-todesstrafe
Am 28. Oktober wurde der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd in Iran hingerichtet wurde. Dazu die Stellungnahme von Amnesty: https://www.amnesty.de/pressemitteilung/iran-jamshid-sharmahd-hingerichtet-todesstrafe
Ein anderer Fall, der Anfang dieses Jahres für Aufschrei sorgte: Die Kurdin Roja Heshmati wurde zu 74 Peitschenhieben verurteilt, weil sie sich mutig ohne Kopfbeckung zeigte. Julia Duchrow: „Jeder friedliche Widerstand, jede kritische Stimme wird gewaltsam unterdrückt.“
2023 hat die Zahl der Hinrichtungen einen erschreckenden Höchststand erreicht: Mindestens 1.153 Todesurteile wurden vollstreckt. Das waren so viele wie seit 2015 nicht mehr. Allein auf Iran entfielen 816 aller registrierten Hinrichtungen. Hier wurden fast doppelt so viele Menschen vom Staat getötet wie im Vorjahr.
Amnesty International schaut nicht tatenlos zu. Die Organisation setzt sich für einzelne Menschen ein, die hingerichtet werden sollen. AI startet Eilaktionen, macht Schicksale öffentlich, übt Druck auf Verantwortliche aus.
Diese Arbeit erfordert einen hohen persönlichen Einsatz von den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Aktiven. Und sie kostet Geld. Geld, das auch die einzelnen AI-Gruppen zur weltweiten Arbeit beisteuern müssen, damit die Organisation wirksam und unabhängig arbeiten kann. Für unsere Gruppe ist der jährliche Bücherflohmarkt im Schiefen Turm die wichtigste Finanzierungsquelle. Auch am 14. und 15 September dieses Jahres haben uns dabei viele Bücherfreundinnen- und freunde mit dem Kauf von Lektüre für Herbst und Winter unterstützt. Am 20. und 21 Dezember werden wir wieder auf dem Weihnachtsmarkt im Aktionshaus Holzarbeiten und Dekor-Sterne verkaufen. Der Reinerlös fließt natürlich auch in die Menschenrechtsarbeit.
Die Arbeit von AI ist mühsam und immer wieder gibt es Rückschläge. Doch unsere Erfolge machen Mut zum Weitermachen. So verabschieden sich immer mehr Länder von der grausamen Praxis der Todesstrafe. Bis heute haben 144 Länder die Todestrafe per Gesetz (112) oder in der Praxis (32) abgeschafft. Die Zahl der Länder, in denen Hinrichtungen durchgeführt wurden, war 2023 auf dem niedrigsten Stand, den AI je verzeichnet hat. Julia Duchrow: „Das macht Hoffnung!“ (M.H.)